05.11.2015

„Oft fehlt das Feingefühl für die Inszenierung“

Prof. Dr. Reinhold Happel von der Fachhochschule Münster über die kunsthistorischen Traditionen der Vorstandsfotografie.


„Oft fehlt das Feingefühl für die Inszenierung“
Prof. Dr. Reinhold Happel vom Fachbereich Design der Fachhochschule Münster

Prof. Dr. Reinhold Happel vom Fachbereich Design der Fachhochschule Münster


Prof. Dr. Reinhold Happel unterrichtet am Fachbereich Design der Fachhochschule Münster Geschichte und Theorie von Kunst und Design. Im Interview sprachen wir mit ihm über die kunsthistorischen Traditionen der Vorstandsfotografie und über die Voraussetzungen für  gelungene, authentische Vorstandsbilder.

Vom Herrschergemälde zum Vorstandsporträt – was hat sich wirklich geändert?

RHDie Grundhaltungen und Darstellungsweisen der Vorstandsfotografie haben sich, mit gewissen Wandlungen, tatsächlich bis heute gehalten. Allerdings kommt aus meiner Sicht weniger das Herrscherporträt als das „bürgerliche“ Porträt der Stadtaristokratie als historische Referenz für die Vorstandfotografie infrage.

Wo liegt der Unterschied?

RHNeben den fehlenden Herrschaftsinsignien ist vor allem die individuelle Persönlichkeitsdarstellung entscheidend. Denn im Gegensatz zum adeligen Standesdenken, das sich ja auf die unverrückbare privilegierte Vorrangstellung qua Geburt stützt, beruft sich das bürgerliche Selbstverständnis auf die Leistung und Tatkraft des Individuums. Darauf beziehen sich die formalen Qualitäten des „bürgerlichen“ Porträts. Oder anders gesagt: Im Gegensatz zu absolutistischen Fürsten können sich Führungskräfte in Unternehmen Posen „göttlicher“ Selbstherrlichkeit nicht leisten, wenn sie als vertrauenswürdig wahrgenommen werden wollen.

Können Sie die erwähnten Qualitäten des bürgerlichen Porträts genauer beschreiben?

RHDer Dargestellte soll möglichst präzise wahrgenommen werden, etwa durch das Halbfigur- oder Kopfbildnis oder die besonders plastisch wirkende „Dreiviertelansicht“. Ebenso typisch sind die Betonung individueller Gesichtszüge durch Beleuchtung und Herausheben des Gesichtes aus einem oftmals dunklen Hintergrund, wenn man etwa an die holländische Porträtkunst des 17. Jahrhunderts denkt. Und dazu gehört nicht zuletzt die leichte Untersicht, oftmals ein direkter Blickkontakt und eine entsprechend ernsthaft-gelassene Haltung und Mimik. Das Ziel: die Autorität des Dargestellten aus der Präsenz seiner individuellen Persönlichkeit heraus bildlich überzeugend für den Betrachter zu transportieren.

„Gelungene Vorstandsbilder sollten Eigenschaften anschaulich machen, die von möglichst allen adressierten Interessengruppen einer ‚guten‘ Unternehmensführung zugeschrieben werden.“

Was zeichnet ein gelungenes Vorstandsbild aus?

RHWenn man als gelungenes Vorstandsbild ein wirkungsvolles meint, ist es entscheidend, wer damit erreicht werden soll. Investoren, Mitarbeiter, die Politik oder die interessierte Öffentlichkeit stellen ja durchaus unterschiedliche Erwartungen an unternehmerische Entscheidungen und an die Personen, die diese Entscheidungen treffen. Das spiegelt sich in unterschiedlichen Vorstellungen von Führungskräften und Managern wider, die man in einem Vorstandsbild wiederzufinden erwartet. 

Also gibt es keine allgemeingültigen Rezepte?

RHAllgemein kann man sagen, gelungene Vorstandsbilder sollten Eigenschaften anschaulich machen, die von möglichst allen adressierten Interessengruppen einer „guten“ Unternehmensführung zugeschrieben werden. Da stoßen wir auf bekannte Dinge wie Verantwortungsbewusstsein, Durchsetzungskraft, Entscheidungs- und Führungskompetenz, Vertrauenswürdigkeit usw. Diese Werte sollte ein gelungenes Vorstandsbild in jedem Fall transportieren.

Stichwort Vertrauen – welche Faktoren sind maßgeblich, damit ein Vorstandsbild Vertrauen übermittelt?

RHOb eine Person im Bild als vertrauenerweckend empfunden wird, hängt natürlich immer auch vom Weltbild des Rezipienten ab. Trotzdem kann man sagen, dass das Vorstandsbild in jedem Fall tief verankerte, gesellschaftlich akzeptierte Vorstellungen von vertrauenswürdiger Autorität in Mimik, Körpersprache, Kleidung und Umraum transportieren muss. Dazu müssen sämtliche genau aufeinander abgestimmte Gestaltungstechniken der Fotografie einschließlich der Inszenierung der Personen und des Umraumes eingesetzt werden.

Vertraute Posen und Gesten: Viele Vorstandsbilder ähneln sich frappierend.

Vertraute Posen und Gesten: Viele Vorstandsbilder ähneln sich frappierend.

Wie sieht das im Detail aus?

RHDas beginnt schon mit der Frage, welche vorrangigen Merkmale eine vertrauenswürdige Person ausmachen und wie man sie im Bild verkörpern kann. Auf dieser Grundlage ist der Bildaufbau zu konzipieren. Zwei konkrete Aspekte: Eine mittels gezielter Licht- und Farbregie erzeugte kühlharmonische Sachlichkeit kann im Bild eine vorausschauende strategische Planungskompetenz vermitteln. Und über eine auf den Betrachter ausgerichtete Haltung und Mimik kann der Vorstand als offener Gesprächspartner wahrgenommen werden. Das muss in der Gestik und der Haltung der Person wie in der Gesamtatmosphäre des Bildes mittransportiert werden.

„Nicht jeder Spitzenmanager ist ein guter Darsteller.“


Diese Gesten und Posen in den Vorstandsbildern ähneln sich doch frappierend. Inwiefern können gestellte Bilder wirklich Authentizität vermitteln?

RHWenn es um Autoritätsdarstellungen geht, haben sich gewisse Darstellungsmodi etabliert, die auf lange Traditionen der Kunstgeschichte zurückgehen. Diese Posen und Gesten funktionieren auch heute noch und scheinen mir daher weniger das Problem zu sein als vielmehr ihre oft wenig überzeugende Umsetzung. Ich glaube, dass vielmehr das fehlende Verständnis für die Wirkungsqualität der Vorstandsfotografie einer der wesentlichen Faktoren ist, warum viele Vorstandsbilder wenig „authentisch“ wirken.

Auf welcher Seite fehlt dieses Verständnis?

RHNicht jeder Spitzenmanager ist ein guter Darsteller. Und vielleicht hat auch nicht jeder Fotograf ein entsprechendes Feingefühl für die Inszenierung oder den Umgang mit den Protagonisten. Vor allem aber ist erstaunlich, wie wenig Zeit man sich in den Vorstandsetagen für das Fotoshooting in der Regel nimmt. Dabei bedarf es an Zeit, damit der oder die Protagonisten auch vor der Kamera mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit und innerer Übereinstimmung ihre Haltungen einnehmen. Schon kleine Abweichungen in der Gestik und Mimik können den Gesamteindruck in eine ganz andere, nicht erwünschte Richtung lenken.

Welche Regeln gelten für die Autoritätsdarstellung weiblicher Vorstandsmitglieder?

Welche Regeln gelten für die Autoritätsdarstellung weiblicher Vorstandsmitglieder?

Der weibliche Vorstand ist noch immer die Ausnahme. Unterliegen Frauen auch in Sachen Vorstandsbild besonderen Anforderungen?

RHDas ist ein wichtiges Thema. Alles bisher Gesagte gilt grundsätzlich natürlich auch für Vorstandsbilder von Frauen. Die Tatsache, dass sie bis jetzt in Deutschland in den großen Unternehmen eher die Ausnahme sind, macht es meiner Meinung nach erforderlich, ein besonderes Augenmerk auf die Autoritätsdarstellung weiblicher Vorstandsmitglieder zu legen. Und damit auf die visuell überzeugende Vermittlung ihrer Führungs- und Fachkompetenz.

Wie kann weibliche Führungskompetenz vermittelt werden?

RHHier gilt es, die geläufigen Haltungen und Posen der Autoritätsdarstellung mit Bezug auf die jeweilige Persönlichkeit der Frauen in angemessene „Varianten“ zu überführen. Kein leichtes Unterfangen, denn hier betritt man zumindest teilweise Neuland. Und schließlich geht es ja darum, auch männliche Rezipienten auf der unbewussten, emotionalen Ebene zu überzeugen. Da können Bilder einiges bewirken. Und darauf sollten schon im eigenen Interesse sowohl die Unternehmen als auch die Managerinnen selbst großen Wert legen.